Ein (dreifaches) Hoch auf das Nichts!

Die ARTE Doku „Ein Hoch auf das Nichts“ spricht mir aus dem Herzen, mitten im lautstark Vorgetragenen: „Wir wissen was nötig ist!“ „So funktioniert die Post-Corona-Ökonomie!“ Scheinbar ist mehr noch immer besser. Gerad jetzt. Also nur keine Zeit verlieren, keine Pause, keine Bedenkzeit schon gar keinen Zwischenraum, in dem freie oder gar noch nutzlose Gedanken hochkommen könnten. Aber um Krisen bewältigen und als Katalysator nutzen zu können, muss man die unterschiedlichen Phasen berücksichtigen.

Natürlich ist die hohe Betriebsamkeit nach dem Schock nachvollziehbar. Krisenabwehr braucht entschlossenes und zeitnahes Handeln. Doch dann, wenn die Flammen nicht mehr aus dem Dach lodern, wäre ein Moment der Besinnung, des „Nichts“ nützlicher als die möglichst unterbrechungsfreie Fortsetzung des Bisherigen zu erzwingen.

Betriebsamkeit lenkt so herrlich ab

Doch Betriebsamkeit lenkt so herrlich ab. Nicht umsonst ist es eine beliebte aber unbewusste Strategie, die uns vom Wandel abhält. Gleichzeitig machen wir uns und anderen glauben, dass wir etwas Wichtiges und Sinnvolles tun. Voller Einsatz eben! Das ist angenehm, denn auch ich kenne die Angst vor Kontrollverlust, vor Gefühlen der Ohnmacht und des Zweifels über den bisherigen Weg und die entsprechend dunklen Gedanken.

Nichts wurde in den letzten Wochen und Monaten so klar, wie das man nichts weiß, nichts kontrollieren kann und die Zukunft -GLÜCKLICHERWEISE- völlig offen ist. Nichts fürchten wir, fürchtet unsere Gesellschaft und noch mehr die Wirtschaft mehr als das Nichts.

Klar! Leben wir doch nur, weil die Steigerung von Allem das Gleichgewicht verspricht oder zumindest das Kippen unserer nicht nachhaltigen Systeme verzögert. Eine große Portion Nichts, die Stille oder gar Leere würde uns schnell auf gefährliche Gedanken bringen. Die Ungereimtheiten könnten unsere Wirklichkeit ins Wanken bringen. Genau diese durch den Lock-down erzwungene Stille hat vielen neben der sozialen Isloation, Angst und Zweifel aber auch unerwartete neue Perspektiven und Erfahrungen gebracht.

Nichts macht aggressiv

Bei kaum eine Intervention im Prozess der Erneuerung schlagen mir regelmäßig so viel Zweifel, Widerstand und Aggression entgegen, wie in der Phase der Entschleunigung, die am Beginn der Prozesse steht. Transformation ist eben nicht ein noch mehr, noch schneller, noch besser, sondern ein anders. Und dafür muss zunächst die Gewissheit des Bisherigen weichen.

Nichts üben und genießen lernen

Jetzt, im verständlichen Versuch die Krise zu meistern, die Probleme anzupacken, vergessen viele die Erfahrung der erweiterten Perspektive, des gedehnten Wahrnehmungs- und damit Möglichkeitsraums, den die für viele erzwungene Leere und das Nichts brachte. Vielleicht noch Zeit um das Nichts zu üben und auch zu genießen. Wer weiß, was nach einem größeren Stück Freiheit, und das bedeutet Nichts ja auch, am Horizont unserer Gedanken sichtbar wird.

Ein Hoch auf das Nichts.

Eine filmische Parabel über das Nichts: Da es sich missverstanden fühlt, beschließt das Nichts eines Tages, von daheim wegzulaufen. Mit den Aufnahmen von mehr als 60 Kameraleuten, Versen, die von Iggy Pop vorgetragen werden, und einem fantastischen Soundtrack der Tiger Lillies hat der serbische Filmemacher Boris Mitic eine vergnügliche Parodie über das Nichts gedreht. 79 Min. Verfügbar vom 25/05/2020 bis 30/07/2020

Interview über „Ein Hoch auf das Nichts“ mit Boris Mitić

12 Min. Verfügbar vom 11/12/2018 bis 21/03/2021

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